LEIBUNDLEBEN.BL.CH

Veranstalter
Kantonsmuseum Baselland (10376)
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10376
Ort
Liestal
Land
Switzerland
Vom - Bis
18.11.2000 -

Publikation(en)

Alder, Barbara; Claudia Pantinelli (Hrsg.): Leibundleben.bl.ch. Vom Umgang mit dem menschlichen Körper. Liestal 2000
Gregor Arndt und Christian Rokosch

Die Dauerausstellung in Liestal zeigt in einem Raum im 2. Obergeschoss des Kantonsmuseums Baselland einen Querschnitt der Körpervorstellungen und des alltäglichen Umgangs mit dem Körper von der Antike bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Sie teilt sich in zwei Hauptthemenbereiche auf: Der erste Themenbereich behandelt die verschiedenen Theorien und Formen der wissenschaftlichen Vorstellungen vom Körper. Angefangen von der aus der Antike stammenden Säftelehre über die Anatomie zum Konzept vom Menschen als Maschine bis hin zum heutigen Modell des entschlüsselbaren genetischen Codes wird versucht, die grosse Bandbreite der verschiedenen Konzeptionalisierungen des menschlichen Körpers darzustellen.

Im zweiten Themenbereich wird anhand von Exponaten aus verschiedenen Epochen die Relevanz der zuvor behandelten verschiedenen Koerperkonzepte des theoretischen Teiles im alltaeglichen Umgang mit dem Koerper aufgezeigt. Geburt, Liebe, Schmuck, Ernaehrung, Koerperpflege, Medizin und Tod sind die hauptsaechlichen Themengebiete des alltagsorientierten Bereichs der Ausstellung. Die Nutzung und die Bedeutung einiger Exponate wird durch rekonstruierte Biografien ihrer frueherer Besitzer veranschaulicht. Die beiden Hauptbereiche der Ausstellung werden an den Aussenwaenden von einigen Bildern und Objekten zum Thema Schoenheit und Idealvorstellungen umrahmt. So werden zum Beispiel in einem kleinem Schaukasten ein "Wonderbra" und ein paar Silikonimplantate gezeigt.

Schon beim Betreten des Ausstellungsraumes, tritt der Besucher seinem eigenen, lebensgrossen Spiegelbild entgegen und wird so unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Ausstellung letztlich ihn selbst als Individuum ansprechen will und zum besseren Verständnis des eigenen Körpers führen soll. Mitten im Eingang zur eigentlichen Ausstellung steht eine rote, gusseiserne Personenwaage, positioniert wie ein Museumswärter, der statt einer Eintrittskarte das Körpergewicht des Besuchers fordert. Rechts davon steht die einen Meter hohe Nachbildung einer Erosstatue, links eine Aphrodite, wodurch sich der Besucher auf der Waage dazu aufgefordert fühlt, seinen eigenen Körper mit ihren idealen Massen zu vergleichen.

Der Ausstellungsraum empfängt den Besucher durch die Kombination von weisser Farbe, hellem Holz und viel Tageslicht mit einer angenehmen Atmosphäre. Im Hintergrund hört man einen Brunnen plätschern, von einem Tonband erklingen unaufdringliche Vogelstimmen und gelegentlich quakt leise ein Frosch. Die Richtung der Begehung ist leider nicht eindeutig vorgegeben, so dass der Besucher leicht den kleinen Eingang zu dem nach aussen hin abgeschlossenen Komplex übersieht, in dem verschiedene Theorien und Vorstellungen über die Beschaffenheit und Funktionsweise des Körpers vorgestellt werden. So besteht die Gefahr, dass er sich sofort dem zur linken sichtbaren Themenbereich zuwendet, der den alltäglichen Umgang mit dem Körper behandelt. Hierdurch wird das Konzept, dem Besucher zuerst das nötige theoretische Basiswissen zu vermitteln, bevor er die praktischen Auswirkungen der verschiedenen Theorien im alltäglichen Leben betrachtet, gefährdet. Schlimmstenfalls läuft der Besucher rückwärts durch den Theoriekomplex und beendet diesen Teil mit der aus der Antike stammenden Humoralpathologie (Säftelehre).

Folgt man jedoch der vorgesehenen Laufrichtung, so trifft man im ersten der containerartig aneinandergereihten Räume des Theoriebereiches auf die Säftelehre. Als Eckpfeiler eines zentralen Informationsblocks prägen rot leuchtende Plastikröhren, durch welche Luftblasen nach oben steigen, die Atmosphäre des düsteren Raumes. Dort, im Zentrum der kleinen Kammer veranschaulichen dem Besucher ein Bildband und ein Nachdruck des "Hausbuches der Cerruti"1, die praktische Bedeutung der Säftelehre im Mittelalter. So besitzt nach dieser Vorstellung zum Beispiel der Knoblauch die Eigenschaften "warm im vierten Grad, trocken im dritten" und kann deshalb als Heilmittel gegen "kalte" Gifte verwendet werden, schadet jedoch den Augen und dem Hirn. Die grundlegenden Prinzipien der Säftelehre, die eine harmonische Balance der vier Koerpersäfte "Blut", "Schleim", "Gelbe Galle" und "Schwarze Galle" anstrebt, werden zusätzlich in der zentralen Vitrine erläutert und durch grossflächige Illustrationen an den Wänden ergänzt.

Im Raum der Anatomie wirft ein Diaprojektor anatomische Zeichnungen auf einen echten, etwa 100 Jahre alten Sektionstisch aus Stahl, so dass dem Besucher das Gefühl vermittelt wird, selbst an einer Leichenöffnung teilzunehmen. An den Wänden erläutern unter anderem Texte und Bilder aus Vesals Anatomielehrbuch2 den Umbruch der anatomischen Koerperforschung in der Renaissance. Der Versuch, die vollständige historische Entwicklung der modernen Anatomie darzustellen führt hier jedoch zu einer irreführenden Aussage. Auf einer der Wandtafeln wird die falsche Behauptung aufgestellt, die Ägypter seien mit ihrer Präparation von Mumien Vorreiter der modernen Anatomie gewesen.

Der dritte Raum zum Thema "Mensch-Maschine" ist völlig mit poliertem Stahl ausgekleidet und präsentiert das technisierte Körperverständnis des Zeitalters der Industrialisierung. Ein grosses Lehrplakat fuür Schüler aus den 1920er Jahren stellt den Menschen als Fabrik dar, und auf einem Podest liegen ein Modellherz und der Kolben eines Verbrennungsmotors nebeneinander.

Überdimensional vergrösserte Bilder vermitteln in den ersten drei Kammern des theoretischen Komplexes dem Besucher zunächst das Gefühl, sich sehr genau mit den Darstellungen beschäftigen zu können. Leider werden einige Bilder durch ihre Grösse und durch den fehlenden Abstand zum Betrachter jedoch oft eher als stimmungsvolle Wandtapete wahrgenommen, wodurch ihr informativer Inhalt leicht uebersehen werden kann.

Im Gegensatz dazu bieten die beiden Mikroskope im letzten Raum des Theoriebereiches dem Besucher die Möglichkeit, sich auf die präparierten Parasiten (Flöhe, Bandwürmer Zecken...) oder Teile von Tierorganen zu konzentrieren und ihre Details in aller Ruhe zu erforschen. Wohl aus Gründen der Pietät wurde hier die Verwendung von menschlichen Präparaten unterlassen. Es fehlt allerdings ein Hinweis auf den identischen Aufbau von menschlichen und tierischen Organen, der eine solche Substitution ermöglicht. Neben den beiden Mikroskopen wird dem Besucher auf einem selbst bedienbaren Flachbildschirm mit der digitalen Enzyklopaedie "Mensch 3D" eine moderne Darstellungsform des menschlichen Körpers geboten und schliesst somit direkt an die vorangegangenen Körperdarstellungen an.

Durch die im Vergleich zu den vorherigen Räumen sehr sparsame und dezente Bebilderung, durch die viel bessere Beleuchtung und durch die groesstenteils weisse Farbgebung dieses Raumes zu den "Bausteinen des Menschen" entsteht in der futuristischen Atmosphaere beinahe der Eindruck, die heutige Wissenschaft sei im Gegensatz zu wirren Theorien aus "duüsterer Vorzeit" die von allen Irrwegen bereinigte Endstufe der Erleuchtung und habe die "Wahrheit" nun endlich gefunden. Die Genetik wird zwar in einem Schaubild kurz erläutert, der Nutzen und die Gefahren der Gentechnik werden jedoch nicht diskutiert. Hier ist die Chance vergeben worden, den Besucher mit sachlichen Informationen dazu zu befähigen, an der aktuellen Diskussion über die Nutzung der Gentechnik teilzunehmen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Nach dem zeitlich streng geordneten theoretischen Teil, der eigentlich nur eine Begehungsrichtung zulässt, wird der Besucher in die Freiheit des zweiten Museumsbereiches entlassen. Hier wird in den Themengebieten "Tod" "Wellness", "Medizin", "Gesundheit", "Ernährung", "Schmuck", "Liebe" und "Geburt" der Umgang mit dem Körper in verschiedenen Epochen und Lebenssituationen dargestellt. So sieht man Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Lebens, wie zum Beispiel ein Wellness-Set aus der Mitte des 20. Jahrhunderts oder aus Haaren geflochtene Bilder, mit denen im 19. Jahrhundert der Toten gedacht wurde. Die Nutzung einiger Exponate, wie zum Beispiel des römischen Bade- und Pflegesets wird durch rekonstruierte Biografien ihrer früheren Besitzer anschaulich gemacht. Die Exponate stammen fast ausschliesslich aus der naäheren Umgebung, wodurch Besucher aus der Region eine emotionale Verbindung zu ihnen herstellen können.

Der Aufbau dieses Bereiches der Ausstellung ist teilweise am natürlichen Lebenslauf eines Menschen ausgerichtet, wobei das Konzept allerdings nicht strikt beibehalten wird. So befindet sich die Vitrine zur Todesstrafe direkt neben dem Themenbereich "Geburt"; der Tod wiederum ist gleich neben den Bereichen "Wellness" und "Medizin" platziert. Es wird der Kombinationsgabe des Besuchers überlassen, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Themengebieten herzustellen und deren Bedeutung in seinem eigenen Leben zu erkennen. Die Ausstellung versucht weder im theoretischen noch im alltagsorientierten Teil den veränderten Umgang mit dem Körper in den verschiedenen Zeitabschnitten zu erklären, oder den Übergang von einer Theorie zur nächsten darzustellen, sondern beschränkt sich darauf, einen Einblick in die grosse Variabilität des Umganges mit dem Körper zu geben.

Die Ausstellung verlangt vom Besucher jedoch mehr als bloßen geistigen Nachvollzug der dargestellten Objekte. So wird zum Beispiel nur der neugierige Besucher die unauffällig unter einigen Vitrinen angebrachten Schubladen entdecken, in denen weitere Exponate zum jeweiligen Thema dargeboten werden.
An den Seitenwänden von Vitrinen sind umgangssprachliche Redewendungen angebracht, die das häufige Auftreten von Körpersymbolik in der alltäglichen Konversation verdeutlichen. So wird der Besucher beim Betreten des theoretischen Teiles mit den Schriftzuegen "Bist du mit Leib und Seele dabei?" und "Mir ist wohl in meiner Haut." begrüsst, trifft in der Ausstellung immer wieder auf versteckte Bemerkungen wie: "Ich wasche meine Hände in Unschuld" und wird mit der etwas seltsamen Frage "Hast du dich richtig ausgekotzt?" an der letzten Ecke vor dem Ausgang verabschiedet.

Bei den zwischen den Vitrinen platzierten Ruhebaenken stehen zahlreiche Bücher zu Themen der Ausstellung und laden zum Schmökern ein. Ergonomische Sitzkissen und Massagegeräte für den Ruecken und die Fuesse bieten dem Besucher Erholungsmöglichkeiten und erinnern ihn gleichzeitig wieder daran, dass es letztendlich um seinen eigenen Körper geht. Neben den Bänken sind einige Kopfhörer angebracht, von denen jeder ein eigenes, etwa 30-minütiges Programm verschiedener Hörstücke anbietet, deren Texte teilweise im Katalog zur Ausstellung zu finden sind. Die Spannweite der Beiträge reicht von einer Erzählung über das Leben einer Frau vor 9000 Jahren, über die frühere Furcht schwangerer Frauen vor dem bösen Blick bis hin zu Radioberichten zum Thema Essen und Sexualität. Die Vielfalt dieser Beitraege bietet sicher einen der größten Anreize, die Ausstellung ein zweites Mal zu besuchen.

In einer verborgenen Nische im hintersten Winkel der Ausstellung kann der Besucher in Ruhe die Masse seines eigenen Körpers ermitteln und die Daten in eine Art Gästebuch eintragen. Die Schuhgröße, Körpergröße und den Kopfumfang können vermessen werden. Bei weitem am attraktivsten ist jedoch das Körperfett-Messgerät, mit dem man den Fettanteil und das gesamte Fettgewicht des eigenen Körpers messen kann. Leider wird dem Besucher nur mitgeteilt, welches die anerkannten Standardwerte sind, wodurch Menschen mit abweichenden Werten nicht wissen, wie sie die Testergebnisse einordnen sollen.

Die übersichtliche Ausstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beschränkt sich auf kurze, eindrucksvolle Einblicke in die verschiedenen Themengebiete. So wird der Wandel der einzelnen Körperkonzeptionen durch die unterschiedlichen Exponate anschaulich dargestellt. Die Problematik der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Erklärungsmodellen und die Ursachen des Wandels werden nicht angesprochen, was allerdings auch den Rahmen einer Ausstellung dieser Größe sprengen würde.

Der Besuch der Ausstellung ist insgesamt gesehen ein äusserst kurzweiliges und lohnendes Erlebnis. Das gut abgestimmte Design erzeugt eine sehr angenehme Atmosphäre, durch die der Besucher angeregt wird, die verschiedenen Themenbereiche selbständig zu erkunden. Besonders der freie Zugang zu Mikroskopen, Lehrbüchern, Computern und zu einigen Ausstellungsstücken stellt eine persönliche Verbindung zwischen dem Besucher und der Ausstellung her. Der im Praxisteil sehr freie Aufbau der Ausstellung hat den Vorteil, dass der Besucher eigene Schwerpunkte setzen kann und nicht das Gefühl bekommt, etwas wichtiges zu verpassen, wenn er etwas länger bei einem bestimmten Themengebiet verweilt. Man wird auch nicht mit unnötigen Informationen überhäuft, sondern bekommt die Kernpunkte der einzelnen Themen auf ansprechende Weise dargeboten. Teilweise wird der Informationsgehalt von Exponaten ästhetischen Aspekten untergeordnet, was die Ausstellung fuer den Besucher jedoch eher noch attraktiver macht.

1 Taquinum Sanitatis, 14. Jh.
2 Vgl. Andreas Vesalius, Icones anatomicae, 1555.

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